Aschenputtelschule
Wer will sie eigentlich?
In Baden-Württemberg und Bayern müssen nach der vierten Klasse der Grundschule alle Kinder 
(außer denen die vorher in verschiedene Sonderschule ausgesondert wurden, zu ihrem Besten) 
aufgeteilt werden auf drei Schularten. Das Gymnasium ist vorbehalten für die, denen am meisten 
zugetraut wird für die Zukunft. Dann gibt es noch eine Stufe darunter, die Realschule. 
Wer für keine dieser beiden Schularten taugt im Alter von zehn Jahren, geht halt auf die Hauptschule 
und erfährt über sich nicht besonders viel Gutes.
Lehrkräfte, die diese Bedingungen kennen und sie womöglich für normal und richtig halten, müssen 
vom Beginn der Grundschule an die Kinder sortieren wie Aschenputtel. Ganz am Anfang noch 
ohne Schulnoten, dann schon für Eltern deutlicher erkennbar auch mit Schulnoten. Erst nur
in den „Fächern“ Deutsch und Mathematik, dann auch in Religion, Kunst, Sport, Sachunterricht, 
Musik. Die Schulnoten sind die Expertise für das Kind, die Auskunft über seine weitere Verwendbarkeit, 
seinen Wert für die Gesellschaft in diesem Land.
Lehrkräfte müssen sich durch diese Selektiererei gezwungen fühlen, Kinder das Gleiche 
gleichzeitig lernen und arbeiten zu lassen, im Gleichschritt. Wie sollte man sonst vergleichen können? 
Gelernt wird, was die Pläne vorsehen, nicht was die Kinder wissen wollen. 
Die Schule kann sich nicht darum kümmern, was die Kinder wissen wollen, sondern muss sich darum 
kümmern, was ihnen gleichzeitig beigebracht (beigebogen) werden soll.
Auf den Schrecken der Pisa-Ergebnisse hin sollen „Bildungsstandards“ festgelegt werden.
Lernstationen, die Kinder auf ihrem Bildungsweg zu bestimmten Zeiten erreicht haben müssen.
Was mag mit denen geschehen, die mehr Zeit brauchen, die solche Stationen nicht erreichen 
oder die Umwege einschlagen?
Was soll mit denen geschehen, die sich den Verfahren entziehen?
Wird der Kostenfaktor „Sitzenbleiber“ sich weiter steigern?
Bisher bleiben jährlich 200.000 Kinder und Jugendliche sitzen.
In Bayern erreichen so wenige das Abitur, dass damit die bayerischen Universitäten und 
Hochschulen sehr dünn besetzt wären, vielleicht zum Teil geschlossen werden könnten.
Wer besteht eigentlich auf diesem dreigliedrigen Schulsystem in dem zahllose Kinder und 
Jugendliche gedemütigt werden. Schuldepression füllt ganze Kinder- und Jugendpsychiatrische 
Einrichtungen. Die Öffentlichkeit erfährt fast nichts davon. Auch nicht von den Selbstmorden 
und Kindern und Jugendlichen, denen Demütigungen und Entwertung voran gegangen sind.
Eltern fordern dieses Schulwesen? Weil sie für ihr Kind das Beste wollen?
Es ist nicht das Beste. 
Das hat schließlich diese Pisauntersuchung gezeigt.
Besser ist Schule, die nicht aussondert, die keine Schulnoten vergibt, die nicht sitzen bleiben lässt. 
Die nicht antreibt und unter Druck setzt, die nicht demütigt.
Politiker fordern es? Weil es ihnen auch nicht geschadet hat? Weil sie damit erreicht haben was sie wurden? 
(Unter den Absolventen von Summerhill (so heißt es) gibt es keine Langzeitarbeitslosen, keine Kriminellen 
und keine Politiker. )
Lehrkräfte könnten die Dreigliedrigkeit fordern, weil sie dafür ausgebildet sind und weil sie 
in Stufen besoldet werden.
Hierzulande wird für die Sekundarstufe II am meisten Geld ausgegeben, für die Grundschule am wenigsten.
In den Ländern, die in der Pisa-Studie am erfolgreichsten erscheinen, ist es genau umgekehrt.

Rolf Robischon 1.12.2002

zurück